Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht

Anthroposophische Gesellschaft oder Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft?

Vorbemerkung

„An der Weihnachtstagung 1923 wurde von Rudolf Steiner die «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» gegründet.“ Dieser Satz ist in vielen Jahrzehnten immer wieder gesagt, geschrieben und gedacht worden und gehört damit als fester Bestandteil zum Gewohnheitsleib unserer Gesellschaft und wohl auch zur Gewohnheit der meisten Mitglieder. Allerdings ergeben sich bei genauerer Betrachtung einige Widersprüche:

  1. Auf der seit 1923/24 unveränderten Mitgliedskarte heißt es: „Als Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft wird betrachtet …“.
  2. Auf dem von Rudolf Steiner entworfenen Briefkopf steht: „Anthroposophische Gesellschaft“.
  3. In den Statuten wird als Name ausschließlich „Anthroposophische Gesellschaft“ genannt.
  4. In der eigentlichen Gründungsversammlung am 28.12.1923 heißt es ausschließlich „Anthroposophische Gesellschaft“.
  5. Auf dem von Rudolf Steiner entworfenen Antragsformular für den Beitritt in die Gesellschaft steht: „Anthroposophische Gesellschaft“.
  6. Und auch das Nachrichtenblatt trug ursprünglich als Namen der Gesellschaft „Anthroposophische Gesellschaft“.

In allen diesen von Rudolf Steiner entworfenen Dokumenten – und auch in weiteren schriftlichen Veröffentlichungen – wird von ihm als Name „Anthroposophische Gesellschaft“ verwendet. Es gibt kein Dokument, aus dem geschlossen werden kann, dass der Name  „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ hätte lauten sollen. Rudolf Steiner hat die Bezeichnungen „allgemeine anthroposophische Gesellschaft“ und „anthroposophische Gesellschaft“ auch nicht synonym verwendet, im Gegenteil: Wie wir es von Rudolf Steiner kennen, gibt es bei ihm keinen unklaren oder gar zufälligen  Sprachgebrauch, sondern ausschliesslich bewusste Begriffe. Hinzu kommt, dass juristisch – und geistig gewiss im Besonderen – der Grundsatz gilt, dass verwendete Namen eindeutig, wahr und richtig sein müssen, gleichgültig ob es sich um den Namen einer natürlichen Person oder um den einer Gesellschaft bzw. eines Vereins handelt. Demnach und aus weiteren, in der Folge dargestellten Gründen, muss man zu dem Schluss kommen, dass der wahre Name der Gesellschaft, die an der Weihnachtstagung gegründet wurde,  „Anthroposophische Gesellschaft“ lautet.

Eine detaillierte Untersuchung dieser Frage existiert mit dem Titel „Der Name der Weihnachtstagungs-Gesellschaft“. Auf diese wird in dem folgenden Beitrag Bezug genommen.

Nachlese zu „Der Name der Weihnachtstagungsgesellschaft“ (dieser Artikel als PDF)

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Artikel „Der Name der Weihnachtstagungs-Gesellschaft“, der in „Ein Nachrichtenblatt“ Nr. 3 vom 5. Februar 2017  erschienen war und am 1. Februar 2017 vorab der Goetheanum-Leitung zur Kenntnis gegeben wurde. Anlass für diesen Artikel ist eine Reaktion von Justus Wittich vom 7. März 2017, auf die weiter unten eingegangen wird, aus der hervorging, dass in der zentralen Frage über den Namen der Weihnachtstagungsgesellschaft vollständige Übereinstimmung besteht. Da aber tatsächlich immer wieder von Mitgliedern der Goetheanum-Leitung davon gesprochen wird, dass „an Weihnachten 1923 die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft gegründet worden sei“, sind in den folgenden Ausführungen einige Beispiele dazu angeführt. Denn tatsächlich – und da besteht eben Übereinstimmung – wurde an der Weihnachtstagung die „Anthroposophische Gesellschaft“ gegründet, die Rudolf Steiner nur einige wenige Male als eine „allgemeine anthroposophische Gesellschaft“ bezeichnet hat, u.a. in Abgrenzung zu den damals bestehenden anderen „Anthroposophischen Gesellschaften“ z.B. in Deutschland und in der Schweiz. Bei der „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ handelt es sich dagegen um den 1913 gegründeten Bauverein. Dies entspricht dem von der Gesellschaftsleitung seit dem 23. März 2002[1] vertretenen Erkenntnisstand. In dem Zeitraum 1925 – 2002 galt dagegen die „offizielle“ – aber eben falsche – Ansicht, dass der Name der Weihnachtstagungs-Gesellschaft „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ gewesen sei. Ganz offensichtlich stammt aus dieser Zeit der  immer noch bestehende Sprachgebrauch, obwohl nun bereits seit 15 Jahren klar ist, dass genau dieser Sprachgebrauch nicht den Tatsachen entspricht.

Die Eröffnung der Welt-Konferenz 2016 erfolgte durch Paul Mackay mit den Worten:[2]

„In sieben Jahren werden einhundert Jahre vergangen sein, nachdem die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft als Trägerin der von Rudolf Steiner eingerichteten Freien Hochschule für Geisteswissenschaft während der Weihnachtstagung 1923/24 begründet wurde.“

Die „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ wurde 1913 als Johannesbau-Verein gegründet, nicht 1923/24, und kann allenfalls seit 2014 als Trägerin der Hochschule bezeichnet werden, wobei aber fraglich ist, ob es sich bei der heutigen Freien Hochschule wirklich um die von Rudolf Steiner gegründete freie[3] Hochschule handelt. Und selbst wenn man Paul Mackay zugutehält, dass er die Weihnachtstagungsgesellschaft gemeint habe: Warum kann es nicht richtig gesagt werden? Es ist, so wie es gesagt wurde, einfach nicht wahr. Und damit wird eine Veranstaltung eröffnet, die mit viel Zukunftshoffnung verbunden ist und an der zudem Nicht-Mitglieder teilnehmen, mit denen man sich zukünftig eine Zusammenarbeit auf gesellschaftlicher Ebene wünscht! Muss es nicht auf spiritueller Ebene verheerend wirken, wenn immer wieder seitens der Goetheanum-Leitung wider besseren Wissens der Eindruck vermittelt wird, die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft sei identisch mit der von Rudolf Steiner an der Weihnachtstagung gegründeten Gesellschaft? Wer hier jetzt einwenden möchte, es habe doch eine „konkludente Fusion“ stattgefunden und damit sei doch die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft auch die Weihnachtstagungsgesellschaft, möge sich diese Ansicht nicht nur zu eigen machen, sondern sich um eine eigene Erkenntnis bemühen, denn als Beleg hierfür wird die Behauptung angeführt, dies gehe aus einem Gerichtsurteil (!) hervor. Man vergegenwärtige sich diese Situation: An die Stelle eines Erkenntnisurteils wird das (zudem angebliche) Ergebnis eines Gerichtsurteils gesetzt! Nähere Ausführungen dazu sind in Vorbereitung.

Bevor nun weiter auf die Reaktionen von Justus Wittich eingegangen wird, soll hier noch einmal die Fragestellung aufgegriffen und vorab die wesentlichen Aspekte des ursprünglichen Artikels angeführt werden:

„An der Weihnachtstagung 1923 wurde von Rudolf Steiner die «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» gegründet.“ Dieser Satz ist in vielen Jahrzehnten immer wieder gesagt, geschrieben und gedacht worden und gehört damit als fester Bestandteil zum Gewohnheitsleib unserer Gesellschaft und wohl auch zur Gewohnheit der meisten Mitglieder. Allerdings ergeben sich bei genauerer Betrachtung einige Widersprüche:

  1. Auf der seit 1923/24 unveränderten Mitgliedskarte heißt es: „Als Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft wird betrachtet …“.
  2. Auf dem von Rudolf Steiner entworfenen Briefkopf steht: „Anthroposophische Gesellschaft“.[4]
  3. In den Statuten wird als Name ausschließlich „Anthroposophische Gesellschaft“ genannt.
  4. In der eigentlichen Gründungsversammlung am 28.12.1923 heißt es ausschließlich „Anthroposophische Gesellschaft“.
  5. Auf dem von Rudolf Steiner entworfenen Antragsformular für den Beitritt in die Gesellschaft steht: „Anthroposophische Gesellschaft“.
  6. Und auch das Nachrichtenblatt trug ursprünglich als Namen der Gesellschaft „Anthroposophische Gesellschaft“.

In allen diesen von Rudolf Steiner entworfenen Dokumenten – und auch in weiteren schriftlichen Veröffentlichungen – wird von ihm als Name „Anthroposophische Gesellschaft“ verwendet. Es gibt kein Dokument, aus dem geschlossen werden kann, dass der Name  „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ hätte lauten sollen. Rudolf Steiner hat die Bezeichnungen „allgemeine anthroposophische Gesellschaft“ und „anthroposophische Gesellschaft“ auch nicht synonym verwendet, im Gegenteil: Wie wir es von Rudolf Steiner kennen, gibt es bei ihm keinen unklaren oder gar zufälligen  Sprachgebrauch, sondern ausschliesslich bewusste Begriffe. Hinzu kommt, dass juristisch – und geistig gewiss im Besonderen – der Grundsatz gilt, dass verwendete Namen eindeutig, wahr und richtig sein müssen, gleichgültig ob es sich um den Namen einer natürlichen Person oder um den einer Gesellschaft bzw. eines Vereins handelt. Demnach und aus weiteren, in der Folge dargestellten Gründen, muss man zu dem Schluss kommen, dass der wahre Name der Gesellschaft, die an der Weihnachtstagung gegründet wurde,  „Anthroposophische Gesellschaft“ lautet.

1.      Bedeutung der Namensverwechselung

Welche Bedeutung hat es, dass seit Jahrzehnten immer wieder davon gesprochen und geschrieben wird, es sei an der Weihnachtstagung die „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ begründet worden und dies zur selbstverständlichen Gewohnheit geworden ist? Vielleicht hält man diese Namensfrage auch nicht für wichtig? Nun ist aber eine Unwahrheit eine Unwahrheit und eine Lüge ist auch dann eine Lüge, selbst wenn derjenige, der sie ausspricht nicht weiß, dass das, was er sagt, eine Unwahrheit ist. Auch wenn er guten Glaubens ist, bleibt es eine Unwahrheit. Darauf und auf die verheerende Wirkung der Unwahrheit und der Lüge gerade im geisteswissenschaftlichen Zusammenhang hat Rudolf Steiner vielfach hingewiesen[5]. Und: Wenn Menschen „unter Autorität Dinge, die unwahr sind“ erzählt werden, so „dämpft man [dadurch] ihr Bewusstsein bis zu der Dumpfheit des Traumbewusstseins herunter.“[6]

„Denn nicht-wahre Aussagen, auch wenn sie sozusagen aus gutem Willen hervorkommen, sind etwas, was innerhalb einer okkulten Bewegung zerstörend wirkt. Darüber darf keine Täuschung sein, sondern darüber muss völligste Klarheit herrschen. Nicht Absichten sind es, auf die es ankommt, denn die nimmt der Mensch oftmals sehr leicht, sondern objektive Wahrheit ist es, auf die es ankommt. Und zu den ersten Pflichten eines esoterischen Schülers gehört es, dass er sich nicht bloß dazu verpflichtet fühlt, dasjenige zu sagen, wovon er glaubt, dass es wahr ist, sondern dass er sich verpflichtet fühlt, zu prüfen, ob dasjenige, was er sagt, wirklich objektive Wahrheit ist.“[7]

Tatsächlich herrscht heute, wie schon an den oben dargestellten Widersprüchen deutlich werden kann, Verschwommenheit und Vernebelung in der Frage nach dem Namen der anthroposophischen Gesellschaft. Auf Grund der jahrzehntelangen Gewohnheit des wechselnden oder synonymen Gebrauchs beider Namen dürfte dies jedoch den allerwenigsten Mitgliedern bisher als Frage bewusst geworden sein, und schon gar nicht in der Bedeutung und Tragweite, die diese Tatsache für eine gesunde Entwicklung der Gesellschaft hat.

Wir wissen, welchen  Angriffen Rudolf Steiner schon zu Lebzeiten ausgesetzt war. Die Gegenmächte wollten und wollen die Entfaltung der Anthroposophie auf Erden verhindern und Rudolf Steiners Werk zerstören. Verwirrung, Vernebelung und Streit sind Mittel und Instrumente Ahrimans um dies zu erreichen. Rudolf Steiner spricht von der „Welle der Verwirrung“[8], die von Ahriman ausgehen wird. Gerade die anthroposophische Gesellschaft dürfte ein wichtiges Ziel und Wirkensfeld der Widersacher sein und ist es auch, wie die Geschichte und die Gegenwart deutlich zeigen. Die Frage nach der Wahrheit und Wirklichkeit ist also hier von zentraler und existenzieller Bedeutung.

2.      Ursprung und Klarstellung der Verwirrung

Rudolf Steiner spricht im Zusammenhang mit der neu gegründeten Gesellschaft an einigen Stellen von einer oder der „allgemeinen anthroposophischen Gesellschaft“, jedoch ist meistens deutlich erkennbar, dass mit „allgemeine“ nicht ein Namensbestandteil, sondern eine Charakterisierung oder eine Unterscheidung z.B. von den Landesgesellschaften, der ursprünglich geplanten „Internationalen Anthroposophischen Gesellschaft“ oder der Hochschule gemeint ist. Wenn wir uns die Situation von 1923 vergegenwärtigen, so wird deutlich: Eine einheitliche anthroposophische Gesellschaft im heutigen Sinne gab es nicht, sondern in verschiedenen Ländern die jeweiligen, zum Teil kürzlich erst gegründeten Landesgesellschaften. Ursprünglich war vorgesehen, an Weihnachten eine „Internationale Anthroposophische Gesellschaft“ zu gründen. Davon sprach Rudolf Steiner noch am 23.11.1923 in einem Vortrag[9], und so lautet auch die Einladung, die in der Wochenschrift „Das Goetheanum“ am 16.12.1923 erschienen ist. Erst an der Weihnachtstagung erfahren die Mitglieder, dass es sich nicht um eine „internationale“, sondern um eine „allgemeine“ Gesellschaft handeln solle.

Der mögliche Einwand, die beiden Bezeichnungen „Anthroposophische Gesellschaft“ und „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ seien synonym verwendet worden, ist gewiss zutreffend  für den Gebrauch innerhalb der anthroposophischen Gesellschaft nach Rudolf Steiners Tod. Dies gilt jedoch nicht für Rudolf Steiner selber, wie dargestellt wurde[10]. Hier ist genau zu unterscheiden, wie Rudolf Steiner die Bezeichnungen verwendet hat und wie es später üblich wurde.

3.      Reaktionen und Nachlese

Wie oben bereits geschildert hatte Justus Wittich im Auftrag des Vorstandes Stellung genommen und im Fazit dem Ergebnis der Untersuchungen zugestimmt: An der Weihnachtstagung wurde die Anthroposophische Gesellschaft gegründet, die Rudolf Steiner u.a. in Abgrenzung zu den „Anthroposophischen Gesellschaften“, die in den verschiedenen Ländern existierten, als eine „allgemeine“ Gesellschaft bezeichnet. Demnach ist der Zusatz „allgemeine“ explizit als Adjektiv bzw. als Eigenschaftswort und nicht als Namensbestandteil zu verstehen. Damit entsprach das Ergebnis der Untersuchung vollständig der Ansicht des Vorstandes und der Goetheanum-Leitung. Dies wurde von Justus Wittich auch im letzten Absatz seiner Antwort bestätigt:

„Etwas ratlos macht mich Ihre Aussage von 2017, dass „die Leitung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft bis heute öffentlich in Wort und Schrift daran festhält, es sei an der Weihnachtstagung die ‘Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft’ gegründet worden.” Wo ist das der Fall? Ich bitte um entsprechende Hinweise. Diese Meinung wird vom Vorstand und heute der Goetheanum-Leitung sicherlich seit mehr als 10 Jahren im rechtlichen Verständnis[11] nicht mehr vertreten. Sprachlich in Bezug auf das kennzeichnende Eigenschaftswort „allgemein” bleibt natürlich die Aussage richtig, dass 1923 zu Weihnachten die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft neu gegründet wurde.“

Nach den entsprechenden Ausführungen handelt es sich wohl im letzten Satz um einen Flüchtigkeitsfehler, denn zumindest das Wort „Allgemeine“ hätte als Eigenschaftswort kleingeschrieben werden müssen, ganz korrekt wäre es gewesen, wenn dort „eine allgemeine anthroposophische Gesellschaft“ gestanden hätte, wie es auch von Rudolf Steiner geschrieben wurde. Hier stellt sich die Frage, warum es „sprachlich“ auf einmal richtig sein soll, wenn gesagt wird, die „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ sei an der Weihnachtstagung begründet worden, wenn doch – und das ist gewiss auch Konsens – es sich bei der „Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft“ um den umbenannten Bauverein handelt? Historisch ist es tatsächlich so, dass die Leitung der Gesellschaft bis 2002 daran festgehalten hat, an der Weihnachtstagung sei eine Gesellschaft mit dem Namen „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ begründet worden. Seit 2002 jedoch, aufgrund der in der 3. Konstitutionsgruppe gewonnenen Erkenntnisse, war auch vom Vorstand anerkannt worden, dass dies nicht den Tatsachen entspricht und der Name der an der Weihnachtstagung gegründeten Gesellschaft „Anthroposophische Gesellschaft“ lautet.

Ein „sprachlicher Gebrauch“ kann sich also nur auf die jahrzehntelangen falschen Auffassungen beziehen. Es war eben von 1925 bis 2002 die „offiziell“ vertretene Ansicht, dass Rudolf Steiner an der Weihnachtstagung eine Gesellschaft mit dem Namen „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ begründet habe.

Damit ist die Namensfrage klar und einfach zu beantworten:

  • An der Weihnachtstagung wurde die „Anthroposophische Gesellschaft“ gegründet, die Rudolf Steiner in Abgrenzung u.a. zu den Landesgesellschaften verschiedentlich auch als eine „allgemeine anthroposophische Gesellschaft“ bezeichnet.
  • Die „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“, wurde 1913 als „Johannesbau-Verein“ in Dornach gegründet, 1917 umbenannt in „Verein des Goetheanum Freie Hochschule für Geisteswissenschaft“ und am 8. Februar 1925 nochmals umbenannt in „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“.

Diese letztere Gesellschaft ist eben nicht identisch mit der an der Weihnachtstagung gegründeten Gesellschaft und die Aussage „An Weihnachten 1923 wurde von Rudolf Steiner die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft gegründet“ ist definitiv nicht wahr.

Allerdings wird diese falsche Formulierung weiterhin benutzt, was sich, wie von Justus Wittich erbeten, wie folgt belegen lässt:

  • Michaela Glöckler  hatte ebenfalls auf meine Ausarbeitung reagiert und geschrieben, dass sie in Bezug auf den Namen der Meinung sei, dieser sei „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“. Das deckt sich mit ihrer Beschreibung in dem Rundbrief der Medizinischen Sektion von Johanni 2014. Auch in einer weiteren Korrespondenz hält Michaela Glöckler daran fest, dass der Name der Weihnachtstagungsgesellschaft „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ gewesen sei. Leider gibt sie für ihre Ansicht keine substantiellen Begründungen an und widerlegt auch nicht die Argumente, die eindeutig gegen ihre Ansicht sprechen.
  • In dem Buch „Die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft“[12], Verlag am Goetheanum, 2008, finden sich gleich mehrere Beispiele, u.a.: In der Vorbemerkung auf Seite 7 sowie auf den Seiten 18 (Heinz Zimmermann), 25 (Bodo von Plato), 46 (Paul Mackay) 73 (Christof Wiechert) und auf der Rückseite des Buches.
  • In der diesjährigen Generalversammlung sprach Constanza Kaliks ebenfalls im Zusammenhang mit der Weihnachtstagungsgesellschaft von „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“.

Justus Wittich selber hatte in seinem Beitrag in Anthroposophie weltweit 1-2/2014 diese Formulierung benutzt:

„Aus Sicht der zuständigen kantonalen Gerichte war durch das über Jahrzehnte hinweg gelebte rechtliche Verhalten von Vorstand und Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft  eine «konkludente Fusion» der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft (gegründet während der Weihnachtstagung 1923/24[13]) und dem Bauverein erfolgt.“

Besonders hervorzuheben sind zwei jüngere Beispiele von der Welt-Konferenz September 2016. So eröffnet Paul Mackay die Konferenz mit dem oben bereits genannten Satz:

„In sieben Jahren werden einhundert Jahre vergangen sein, nachdem die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft als Trägerin der von Rudolf Steiner eingerichteten Freien Hochschule für Geisteswissenschaft während der Weihnachtstagung 1923/24 begründet wurde.“[14]

Es ist wohl unschwer zu erkennen, dass diese Aussage nicht den Tatsachen entspricht und insofern nur zur Verwirrung beitragen kann bzw. ein unwahres Bild vermittelt. Auch der mögliche Einwand, es habe eine „konkludente Fusion“ der Weihnachtstagungsgesellschaft mit dem Bauverein stattgefunden, ändert nichts daran, dass die Körperschaft der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft bereits 1913 in Dornach als Johannesbau-Verein begründet wurde und keinesfalls Trägerin der 1923 gegründeten Freien Hochschule wurde. Zudem handelt es sich bei der „konkludenten Fusion“ um eine unbewiesene Theorie. Dieser Erkenntnisstand ist 2002 vom Vorstand bzw. im Auftrag des Vorstandes umfassend und eindeutig dargelegt, 2005 bestätigt[15] und seitdem nicht widerrufen worden. Die Aussage zur Eröffnung der Welt-Konferenz von Paul Mackay entspricht nicht den Tatsachen und vermittelt den falschen Eindruck, die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft entspreche der an Weihnachten 1923 gegründeten Anthroposophischen Gesellschaft.

Ein weiteres Beispiel stammt aus dem Beitrag von Christiane Haid, ebenfalls an der Welt-Konferenz 2016:

„Denn es war diese Tagung, mit der Rudolf Steiner 1923/24 die Initiative ergriffen hat, nach 21 Jahren anthroposophischer Arbeit die fundamentale Neugründung der Anthroposophischen Gesellschaft als Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft in die Wege zu leiten.“

Diese Formulierung muss den Zuhörer oder den Leser völlig verwirren. Die Aussage, es habe eine Neugründung eines Vereines mit dem Namen Anthroposophische Gesellschaft als ein Verein mit dem Namen Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft stattgefunden, macht einfach keinen Sinn. Ein Sinn würde sich nur dann ergeben, wenn es sich um zwei unterschiedliche Körperschaften handeln würde. Tatsächlich findet sich die von Christiane Haid verwendete Formulierung in einem Vorwort Marie Steiners zur Herausgabe des „Konstitutions-Bandes“[16]. Dort heisst es:

„Die in jenem Buche [einer früheren Veröffentlichung des Konstitutionsgeschehens] berichteten Ereignisse führen bis zu dem Punkte, wo – fußend auf dem Fundament der neubegründeten Landesgruppen – die Neukonstituierung der Anthroposophischen Gesellschaft als Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft mit Sitz in Dornach vorgenommen werden konnte.“

Diese Aussage ist aus heutiger Sicht ebenfalls nicht richtig, entsprach jedoch der damaligen Auffassung „die Anthroposophische Gesellschaft“ [von Köln 1913] sei mit dem Namen  „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“ [der Weihnachtstagung]  neu konstituiert worden. Wir wissen heute, dass dies nicht der Name der Weihnachtstagungsgesellschaft war.

4.      Fazit

Wenn, wie Justus Wittich schreibt,  seit 10 Jahren (eigentlich seit 2002) klar ist, dass der Name der an der Weihnachtstagung gegründeten Gesellschaft „Anthroposophische Gesellschaft“ lautet und eben nicht „Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft“, warum ist es dann nicht möglich, dies in klarer Abgrenzung auch sprachlich und schriftlich zum Ausdruck zu bringen?

Thomas Heck, 10. November 2017

[1] Vorstandserklärung an der Generalversammlung 2002, Nachrichtenblatt Nr. 17 vom 21. April 2002

[2] Hervorhebungen in Zitaten stammen vom Autor.

[3] In den schriftlichen Ausführungen zur Hochschule, die 1924 im Nachrichtenblatt veröffentlich wurden, verwendet Rudolf Steiner die Schreibweise „freie Hochschule“, in den Veröffentlichungen in der GA ist dies durchgehend in „Freie Hochschule“ umgesetzt worden.

[4] „Ein Nachrichtenblatt“ Nr. 3/2017

[5] z.B. GA 205, S. 238ff.

[6] GA 198, S. 125

[7] GA 270a, S. 129

[8] GA 190, 1980, S. 120

[9] GA 232

[10]  Ausführliche Dokumentation in „Ein Nachrichtenblatt“ Nr. 3 vom 5. Februar 2017.

[11] Welchen Hintergrund mag die Einschränkung auf das „rechtliche Verständnis“ haben? Kann die Gesellschaft im geistigen oder wirtschaftlichen Verständnis einen Namen haben? Wenn „allgemeine“ kleingeschrieben als Adjektiv verwendet wird, wird damit eine Charakterisierung zum Ausdruck gebracht.

[12] Dabei handelt es sich um die Nachfolgepublikation des „blauen Heftes“ für Mitglieder, das als Orientierung für zukünftige Hochschulmitglieder gedacht ist.

[13] Die Hervorhebung erfolgte nachträglich durch den Autor.

[14] Quelle: „Goetheanum-Welt-Konferenz, 27. September – 1.Oktober 2017, Dokumentation“, erhältlich über das Mitgliedersekretariat am Goetheanum oder im Internet: www.goetheanum.org/aag/goetheanum-welt-konferenz/. Den Zitaten liegt die schriftliche Version zugrunden, Gros- und Kleinschreibungen sind also authentisch.

[15] Vorstandserklärung vom 19. 03.2005 (Nachrichtenblatt) und Stellungnahme im Auftrag des Vorstandes am Goetheanum zu den beiden Urteilen des Obergerichts Solothurn vom 12. Januar 2005 von Prof. Dr. Andreas Furrer und Dr. Jürgen Erdmenger, datiert März 2005 (Download von der Goetheanum-Website).

[16] GA 260

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